Niob – Metall zwischen Energiewende, Hightech und Aufrüstung

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Niob – Metall zwischen Energiewende, Hightech und Aufrüstung

Hi, Hier ist Adrian von PowerShift. In unserem Text heute werden einige Regionen und Ortsnamen aus Brasilien genannt. Ich selber spreche leider kein portugiesisch, werde mich aber bemühen, die Namen so gut wie möglich auszusprechen.

Heute sprechen wir über ein Metall, ein Rohstoff von dem viele wohl noch nie gehört haben. Dabei spielt er eine zentrale Rolle in der hochtechnologisierten Weltwirtschaft. Die Rede ist von: Niob, international auch als Niobium bezeichnet. Ein Metall, das in Energiewende-Projekten steckt, in supraleitenden Magneten – in der Medizintechnik und auch in Rüstungs- und Verteidigungstechnik.

Niob ist ein Metall, das viele Hoffnungen erzeugt aber dessen Abbau gleichzeitig Konflikte schürt und verschärft. Er steht in Verbindung mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung. Höchste Zeit also, genauer hinzuschauen.

Was ist Niob eigentlich – und warum ist es so heiß begehrt?

Die Europäische Union stuft Niob als kritisches Metall ein, denn seine Qualitäten und Eigenschaften sind in vielen Schlüsseltechnologien gefragt:Es erhöht die Festigkeit von Stahl und könnte dadurch Gewichtseinsparungen von bis zu 20 Prozent ermöglichen. Außerdem macht der Zusatz von Niob Materialien hitze- und korrosionsbeständiger. Das ist relevant für Pipelines, Brücken, Offshore-Anlagen oder im Fahrzeugbau. Darüber hinaus wird Niob in der Magnet- und Elektrotechnik sowie in der Luft- und Raumfahrt eingesetzt und wegen seiner Biokompatibilität für Implantate und medizinische Prothesen genutzt.

Mit steigender Aufrüstung in vielen Ländern, insbesondere der USA, China, Russland und der EU geht es aber nicht mehr nur um die zivile Anwendung, sondern um die Deckung steigender Bedarfe für militärische Anwendungen. Dadurch wird Niob zu einem Metall im Spannungsfeld von Sicherheit und geopolitischen Interessen.

Denn Niob wird zunehmend von der Rüstungsindustrie nachgefragt: für Turbinen in Kampfjets und Helikoptern, für Raketenantriebe, für U-Boote und für neuartige Hyperschallwaffen, die mit ihren hohen Geschwindigkeiten und wenig vorhersehbaren Flugbahnen schlechter abzufangen sind. Über 90 Prozent des Niobs wird in der Stahlproduktion genutzt. Wie viel davon letztendlich in der Rüstungsindustrie landet, lässt sich nur schwer beziffern. Doch aufgrund der hohen Investitionen steigt die Nachfrage nach Niob.

Prognostiziert wird, dass der Bedarf bis 2030 voraussichtlich um 25% steigt, bei einer derzeitigen Fördermenge von 75 Kilotonnen im Jahr.

Ein globaler Markt – dominiert von einem Land

Über 80 Prozent der weltweiten Niob-Förderung stammen aus einem einzigen Land: Brasilien. Weitere kleinere Produzenten sind Kanada und China.Damit ist der Markt extrem konzentriert – und anfällig für politische, wirtschaftliche, soziale und ökologische Risiken.

Das wichtigste Bergbauunternehmen heißt CBMM – Companhia Brasileira de Metalurgia e Mineração. Es kontrolliert etwa drei Viertel der globalen Fördermenge und präsentiert Niob offensiv als Metall der „grünen Transformation“. Gemeinsam mit Volkswagen, der VW-Tochter Traton und Toshiba investiert CBMM in die Erforschung von Niobbatterien, die länger halten, schneller laden und weniger Kobalt oder Nickel benötigen sollen. Damit stellt sich CBMM als vermeintlicher Retter der Klimakrise dar. Die Realität vor Ort bei der größten Niobmine in Araschá sieht jedoch anders aus.

Und auch die Niob-Batterie bleibt bislang eher Zukunftsmusik. In Batterien wird Niob bisher nicht breit angewendet, der technologische Reifegrad ist noch nicht weit genug.

Die Kehrseite: Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen

Niobabbau birgt hohe Risiken. Bereits im Jahr 2018 hat das Umweltbundesamt dazu einen umfassenden Bericht für die Mine in Araschá erstellt. Die Risikobewertung zeigt: Der Abbau hat ein hohes Potenzial für saure Grubenwässer und das Austreten radioaktiver Stoffe, zudem ist die Schwermetallbelastung in den Lagerstätten hoch. Der Abbau geht mit großen Abraummengen und Eingriffen in natürliche Ökosysteme einher. Außerdem bestehen Risiken für Überschwemmungen, Erdbeben und Hangrutschungen.

Von grünem Bergbau oder Bergbau für eine grüne Transformation kann also keine Rede sein. Und auch in anderen Lagerstätten drohen ähnliche Risiken.

Um zu verstehen, welche sozialen und ökologischen Schäden die Niobgewinnung verursacht, lohnt ein genauerer Blick nach Araschá, einem Kurort im brasilianischen Bundesstaat Minas Scherais – und gleichzeitig der Ort, an dem CBMM seit den 1960er Jahren Niob im Tagebau fördert.

Minas Scherais ist geprägt von Bergbaukatastrophen. Die Dammbrüche von Mariana 2015 und Brumadinho 2019 stehen exemplarisch für die enormen Zerstörungsausmaße und die Verantwortungslosigkeit von Unternehmen. Sie stehen für hunderte getötete Menschen, zerstörte Lebensgrundlagen, massive Gesundheitsauswirkungen, verseuchte Flüsse, und dauerhafte Umweltverschmutzung.

Auch in Araschá führte der Bergbau zu einer massiven Umweltkatastrophe. Bis heute zeigen sich Gesundheitsauswirkungen, die wahrscheinlich durch Schwermetallbelastungen hervorgerufen werden.

Im Jahr 1982 wurde die Kontamination des Grund- und Oberflächenwassers in Araschá durch Barium festgestellt. Wasser sickerte durch die bergbaulichen Rückstände im Rückhaltebecken B4 der Araschá Mine von CBMM, die mit Bariumchlorid belastet sind und verseuchte angrenzende Grundwasservorkommen. Grund- aber auch Trinkwasser sind seitdem mit Schwermetallen und toxischen Substanzen belastet, welche die Bevölkerung jahrzehntelang konsumierte. Ein nachträglicher Versuch der Dekontaminierung verschlimmerte die Lage zusätzlich anstatt sie zu lösen. Die gesundheitlichen Folgen in der Region sind bis heute spürbar – darunter Atemwegserkrankungen, Hautprobleme und erhöhte Krebsraten.

Eine Sammelklage von über 500 Betroffenen wurde nach jahrzehntelangen Prozessen im Jahr 2018 abgewiesen, da anscheinend kein ausreichender Zusammenhang zwischen Gesundheitsschäden und Kontamination durch den Bergbau nachgewiesen werden konnte. Irritierend ist eine Meldung der Staatsanwaltschaft, in Minas Scherais - auf ihrer Webseite. „Das Unternehmen [gemeint ist CBMM] ist verantwortlich für die Kontamination von Grundwasservorkommen mit chemischen Substanzen anthropogenen Ursprungs, die 1982 festgestellt wurde, als im Bereich innerhalb und unterhalb des Rückhaltebeckens 4 der CBMM lösliches Barium über den natürlichen Konzentrationen nachgewiesen wurde.“ Vergleichsvereinbarungen zwischen CBMM und der Staatsanwaltschaft verdeutlichen die Verantwortung des Unternehmens, gleichzeitig wird darin keine Verantwortung für die gesundheitliche Situation in Araschá gesehen. Ein schwer nachzuvollziehender Vorgang.

Neben den Bergbauaktivitäten ist Araschá für seine Thermalquellen und Heilbäder bekannt. Ob dies neben Bergbau überhaupt eine fortwährende alternative Einkommensquelle in der Region bleiben wird, ist fragwürdig. Die regionale Industriepolitik weist in eine klare Richtung. In diesem Jahr erhielt ein australisches Unternehmen neue Abbaurechte für Seltene Erden in der Region.

Niob im Amazonasgebiet: Eine Gefahr für indigene Territorien

Besonders brisant ist der politische Druck, Niob-Abbau im Amazonas voranzutreiben.Die Propaganda des brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro hob Niob zu einem nationalen Schatz, der es ermöglichen sollte Brasiliens Wirtschaft zu retten. Bolsonaro argumentierte, dass Naturschutzgebiete und indigene Territorien wirtschaftliche Entwicklung behindern würden und einen Nachteil für die brasilianische Wirtschaft darstellen.

Niob-Vorkommen sind beispielweise auf indigenem Territorium im Schutzgebiet Morro dos Seis Lagos, zu finden. Ricardo Fernandes Gonzalves, Professor an der Universität Goiás, beschrieb 2019 die Logik treffend: Die Erzählung vom ungenutzten Schatz diene dazu, regulatorische Schutzmechanismen abzubauen und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass indigene Rechte ein Hindernis seien – im Interesse von Bergbau-, Energie- und Agrarkonzernen. Über die Hälfte der globalen Rohstoffvorkommen liegt auf oder direkt angrenzend an indigene Territorien. Ihr Abbau hat direkte Folgen für ihr Leben.

Gonzalves weist darauf hin, dass die globale Nachfrage nach Niob stabil sei und keine zusätzlichen Minen benötige. Trotzdem wächst der politische Druck.Niob steht damit exemplarisch für eine Entwicklung, die aus vielen Regionen Amazoniens bekannt ist: Rohstoffinteressen, die mit Argumenten des Fortschritts und der nationalen Sicherheit begründet werden – und am Ende auf Kosten der allgemeinen und kollektiven Menschenrechte und der Umwelt gehen. Doch der Amazonasregenwald selbst ist wichtig für den Klimaschutz. Bereits 18 Prozent des Waldes sind abgeholzt, bei 20 bis 25 Prozent droht ein nicht umkehrbarer Wandel hin zu einer steppenartigen Landschaft mit Auswirkungen in ganz Südamerika und auf das globale Klima.

Reduktion des Rohstoffverbrauchs und Kreislaufwirtschaft

Spannend ist die Frage, ob Niob dazu beitragen könnte, andere metallische Rohstoffe einzusparen.Denn tatsächlich lässt sich mit niobhaltigem Stahl Material einsparen, und in einigen Anwendungen könnte Niob eventuell zumindest teilweise Nickel oder Kobalt substituieren.Doch gleichzeitig bleibt Niob, wie dargestellt, selbst ein problematischer Rohstoff, dessen Abbau geschilderte schwerwiegende soziale und ökologische Folgen hat.

Dadurch entsteht eine doppelte Herausforderung: Der Abbau und die Verarbeitung von Niob dürfen nicht zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltkontamination führen. Importe nach Deutschland und in die Europäische Union sollten dafür klaren Richtlinien unterliegen.

Unsere Rohstoffverbräuche müssen absolut sinken.Der aktuelle Bedarf an Niob wird über die bisherigen Minen gedeckt. Diese müssen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten und Umweltschutzansprüche erfüllen. Eine Ausweitung der globalen Niobproduktion durch weitere Minen ist gemessen an der aktuellen und prognostizierten Nachfrage nicht nötig. Wichtig ist es Menschenrechte und Umwelt bei den bestehenden Minen und Produktionsstandorten konsequent zu schützen. Die Eröffnung neuer Minen beispielsweise in der Amazonasregion wäre ein klimapolitisches und sozial-ökologisches Desaster, das dazu beitragen würde die natürliche Grundlage zur Bewältigung der Klimakrise zu zerstören

Die Kreislaufnutzung und das Recycling müssen besser werden.Das Problem: Niob ist meist nur in sehr geringen Konzentrationen in Stahlprodukten beigemischt. Es aus Stahl zurückzugewinnen ist energieintensiv, teuer und technologisch aufwendig.Entscheidend sind deshalb Kenntnisse über Materialzusammensetzungen, bspw. durch einen digitalen Produktpass und eine klare Kennzeichnung niobhaltiger Stähle, damit sie passgenau wiederverwendet und/oder recycelt werden können und eine unnötige Verschwendung sowie Downcycling zu verhindern.

Doch Was muss politisch passieren?

Niob darf nicht unhinterfragt als „grünes“ Metall inszeniert werden. Vor- und Nachteile müssen aufgezeigt und abgewogen werden. Dafür ist es nötig:

Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu schaffen.Digitale Produktpässe, klare Kennzeichnungen und Risikoanalysen entlang von Wertschöpfungsketten sind wichtig, um mehr Informationen über niobhaltige Produkte zu generieren – nur so können Risiken minimiert und niobhaltige Produkte im Kreislauf halten gehalten werden, anstatt sie unkontrolliert zu recyceln oder so für Anwendungen, in denen ein Zusatz von Niob Vorteile bringt, zu verlieren.

Verbindliche sozial-ökologische Sorgfaltspflichten müssen eingehalten werdenDie gesamte Wertschöpfungskette muss einer Risikoanalyse unterliegen, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung vorzubeugen. Dafür sind auch Haftungsregeln und barrierefreie Beschwerdemechanismen essentiell. Betroffene oder potentiell betroffene Menschen und Gemeinden müssen in die Erstellung von Risikoanalysen einbezogen werden.

Priorisierung anstatt einer Profitorientierung durchsetzen.Niob sollte nur dort eingesetzt werden, wo es einen echten gesellschaftlichen Nutzen schafft und Einsparpotentiale anderer Metalle ermöglicht: wie beispielsweise in Infrastruktur, im Bau oder der Medizintechnik.

Fazit: Was heißt das für rohstoffpolitische Entscheidungen?

Niob ist vieles zugleich: Ein Hightech-Metall, ein geopolitischer Faktor, eine Hoffnung für Industrie- und Energiewende – und eine Ursache von Umweltzerstörung und sozialen Konflikten.Am Metall Niob zeigt sich exemplarisch, wie eng Klimapolitik, Industriepolitik, Rohstoffpolitik und der Schutz von Menschenrechten und Natur miteinander verflochten sind.

Ob Niob ein Metall der Zukunft sein kann, hängt deshalb nicht von seinen natürlichen Eigenschaften, sondern von politischen Entscheidungen ab:Wichtig ist: Es braucht eine Rohstoffwende – in Deutschland, Europa und global. Denn wie viele Rohstoffe wir verbrauchen, wofür und wie nachhaltig wir sie einsetzen und welchen Wert wir auf den Schutz von Menschenrechten und Umwelt legen, haben wir selbst in der Hand.

Das war Kompass Weltwirtschaft To Go. Wenn Ihr noch tiefer in das Thema eintauchen wollt, hört doch mal in die dazugehörige Folge 67 vom Kompass Weltwirtschaft rein mit unserer Moderatorin Nora Noll. Ihr wollt noch mehr zur Arbeit von PowerShift erfahren? Dann schaut auf unserer Webseite vorbei: www.power-shift.de

Bis zum nächsten Mal.

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